Euro-Climhist – Wege zur Wetternachhersage

Wassermarken

Mit Hochwassermarken an Gebäuden wurden die Häufigkeit und die Grössenordnung schwerer Überschwemmungen, mit Niedrigwassermarken auf tief liegenden Steinblöcken in Flüssen und Seen extrem tiefe Wasserstände dokumentiert. Sie setzen in der Regel nach besonders extremen Ereignissen ein, etwa 1342 im Einzugsgebiet des Rheins oder 1501 im süddeutsch-österreichischen Donauraum. Teils bestehen sie nur aus einfachen Linien mit dem entsprechenden Jahresdatum, doch manchmal werden auch einige Details in einer beigegebenen Inschrift näher ausgeführt. In der Regel wurden sie an öffentlich sichtbaren Orten angebracht, etwa an Brückenpfeilern, Stadttoren oder prominenten Häusern in der Stadt.

Die Abbildung zeigt Hochwassermarken der Tauber, eines Nebenflusses des Mains, am „Gartenhaus“ in Wertheim (Baden-Württemberg). Ein Ensemble von 24 Hochwassermarken wie jenes am Gartenhaus in Wertheim an der Tauber vermittelt einen visuellen Überblick über Grösse und Häufigkeit von Überschwemmungen und legt damit die Basis für eine Risikoeinschätzung, die jener der Versicherungswirtschaft entspricht. Diese definiert Risiko als Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden von einer bestimmten Grössenordnung wieder.

Allerdings ist die historisch-hydrologische Auswertung von Hochwassermarken nicht immer unproblematisch: Erstens muss gefragt werden, ob die die markierten Wasserstände tatsächlich die Scheitelhöhe des Hochwassers oder doch einen etwas niedrigeren Stand aus den Tagen davor oder danach repräsentieren. Zweitens ist zu klären, ob die Hochwassermarken überhaupt zeitgemäss und damit auch historisch zuverlässig sind. Nicht selten wurden sie in der Vergangenheit versetzt (etwa beim Neubau eines Hauses) und wieder auf derselben Höhe angebracht. Dies betrifft insbesondere auch aufgemalte Hochwassermarken, da diese bei neuen Hochwassern immer wieder zerstört wurden Hinsichtlich der rekonstruierten Durchflussmengen stellt sich zudem die Frage, wie sehr sich der Fluss seit dem historischen Hochwasser verändert hat, etwa durch die Eintiefung des Flussbetts oder durch menschlichen Einfluss, etwa durch Flussbegradigungen oder Veränderungen des Retentionsgebiets, d.h. der natürlichen Ausdehnungsflächen in Auengebieten. In jedem Fall sind Hochwassermarken auch wichtige Zeugnisse der Katastrophenerinnerung, die wiederum das Bewusstsein über die mögliche Wiederkehr von Hochwasserereignissen erhöhten.

Während Hochwassermarken an vielen Orten zu finden sind, sind Niedrigwassermarken, also Markierungen auf grossen Steinen, die nur in Jahren extremer Trockenheit aus dem Flussbett oder dem See ragten, sehr selten. Da sie nur in wenigen Jahren überhaupt sichtbar werden, wurden sie auch nicht regelmässig erneuert oder gepflegt. Mitunter fielen sie auch Flussbegradigungen oder dem Bau von Wasserkraftwerken zum Opfer. Derartige Niedrigwassermarken werden auch als „Hungersteine“ bezeichnet, weil derart trockene Jahre in der Regel auch sehr schlechte Ernten mit sich brachten.

Der Laufenstein bei Laufenburg (Kanton Aargau/Baden-Württemberg) ragte bei sehr tiefen Wasserständen des Rheins aus dem Wasser. Anwohner hielten solche Ereignisse fest, indem sie die jeweilige Jahrzahl in den Stein meisselten. Der Laufenstein wurde beim Bau des Kraftwerks Laufenburg 1908 oder 1909 gesprengt. Glücklicherweise hat der Ingenieur Hermann Walter die Jahre mit extremen Niedrigwasserständen in seiner Dissertation von 1901 festgehalten, die wohl im Hinblick auf den späteren Bau des Kraftwerks verfasst wurde (Pfister, Weingartner, Luterbacher 2006).

 

Das vielleicht berühmteste Beispiel für derartige Hungerstein stammt aus Déčin an der Elbe (Tschechische Republik). Er dokumentiert unter anderem die Dürre des Sommers 1616, zu der auch in Euro-Climhist Daten zu finden sind. In ganz Böhmen und den umliegenden Regionen führte sie zu einer verheerenden Missernte. Auf einem Stein im Flussbett der Elbe in Déčin nahe der deutschen Grenze ist zu lesen: „Wenn du mich siehst, dann weine.“ In der langen Niederschlagsreihe in Tschechien steht die Dürreperiode von 1616 an zweiter Stelle nach jener von 1540.